In der 11. Klasse besuchte ich ein Gymnasium in München. In diesem Jahr hatten wir diesen positiv verrückten Erdkundelehrer.
Er war anders als alle anderen Lehrer. Er hatte immer alte und zerzauste Kleider an und sein Haar stand in alle Richtungen ab. Dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, übte dieser Lehrer eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Fast jede Stunde hatte er eine nette Geschichte aus seinem Leben für uns parat. Oft saß er die ganze Unterrichtsstunde an seinem Pult und erzählte uns aus seinem Leben. Die meisten aus unserer Klasse konnten in dieser pubertären Zeit mit seinen lebhaften Berichten jedoch nicht mehr anfangen, als sie ins Lächerliche zu ziehen.
Eines Tages hatten wir eine Stunde, die ich bis heute nicht vergessen habe. Er kam in die Klasse und setzte sich gelangweilt an seinen Tisch, kramte minutenlang in seinen Unterlagen herum, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Lärmpegel im Klassenraum stieg immer höher.
Plötzlich jedoch durchbrach seine Stimme die Unruhe: «Meine Damen und Herren, bitte nehmt einen leeren Zettel und Stift zur Hand und beantwortet mir folgende Frage: Was sind für euch die sechs wichtigsten Dinge im Leben?»
Das Gelächter in der Klasse war groß, doch wurde uns schnell bewusst, dass diese Frage ernst gemeint war.
«Ihr könnt die Dinge aufschreiben, die euch im Moment am wichtigsten sind», erklärte er uns. «Ihr könnt aber auch Dinge aufschreiben, die ihr mal erreichen wollt. Lebensziele. Dinge, die ihr gerne einmal besitzen möchtet. Und Dinge, die euch für den Rest eures Lebens am wichtigsten sind.»
Ich hatte keine besondere Lust auf dieses Spielchen, gab mir deshalb nicht besonders viel Mühe und kritzelte ohne viel nachzudenken einfach ein paar Punkte auf mein Blatt. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass viele meiner Mitschüler diese Aufgabe ernst nahmen. Während wir unsere Gedanken niederschrieben, ging unser Lehrer hinter den rechten Tafelflügel und schrieb etwas auf die Rückseite.
Nach ein paar Minuten konnte jeder freiwillig seine gesammelten Punkte vorlesen und der Lehrer notierte sie in der Tafelmitte. Ich meldete mich natürlich nicht, um mich nicht vor der Klasse zu blamieren. Ungefähr die Hälfte meiner Mitschüler gab ihre Antworten preis und am Ende hatten die folgenden Punkte die meisten Stimmen:
1. Schuljahr bestehen
2. Abitur schaffen
3. einmal viel Geld haben, reich sein
4. einen guten Beruf haben
5. Familie haben
(Ja, lieber Leser, das waren die klassischen Ziele der 90er Jahre... ;-))
Unser Lehrer blickte auf die Vorschläge an der Tafel und sagte: «Das sind gute Punkte, meine Lieben. Und sicherlich erstrebenswert. In eurem Alter habe ich genauso gedacht. Geld war mir das Allerwichtigste. Aber lasst euch Folgendes sagen: Mein bester Freund hatte vor einem Jahr einen schweren Autounfall und sitzt seitdem gelähmt im Rollstuhl. Er kann nichts mehr alleine machen und ist 24 Stunden am Tag auf fremde Hilfe angewiesen. Vor seinem Unfall war er ein erfolgreicher Manager, der alles hatte, was er wollte: eigenes Unternehmen, Geld im Überfluss, drei Autos, zwei Häuser, er bekam jede Frau, die er haben wollte.
Seit dem Unfall hat sich sein Leben radikal verändert. Letzte Woche hat er mir eine Liste mit seinen sechs wichtigsten Dingen im Leben gezeigt und mich gebeten, sie an alle meine Schüler weiterzugeben. Ich habe sie für euch aufgeschrieben.»
Unser Lehrer klappte den rechten Tafelflügel auf. Dort stand geschrieben:
Die sechs wichtigsten Dinge in meinem Leben sind:
1. Mit beiden Händen und zehn gesunden Fingern greifen und fühlen können
2. Mit der Zunge Dinge schmecken können
3. Mit beiden Augen sehen können
4. Mit beiden Ohren hören können?
5. Mit einem gesunden Kopf klar denken können
6. Auf zwei gesunden Beinen durchs Leben laufen können
In unserer sonst so undisziplinierten Klasse herrschte eine nachdenkliche Stille, wie ich sie nie mehr erlebt habe.
«Schreibt euch diese Punkte auf», empfahl uns unser Lehrer. «Dann habt ihr etwas gelernt, das ihr für den Rest eures Lebens behalten werdet. Das Allerwichtigste in eurem Leben ist das Geschenk, das euch Mutter Natur bei eurer Geburt gegeben hat: eure eigene Gesundheit! Ihr müsst nach nichts mehr streben, weil besser wird es nicht im Leben, als es heute ist – nur anders!»
Diese Geschichte erzähle ich Dir heute, um Dich für zwei Dinge zu sensibilisieren:
Zum einen dafür, dass Du schon seit Geburt ein großes Geschenk des Lebens hast: Deinen Körper. Du hast nur einen Körper – bis zu Deinem Tod. Lerne ihn zu akzeptieren, zu lieben und zu pflegen.
Zum anderen hat Willam Arthur Ward einmal gesagt: „Der durchschnittliche Lehrer erzählt. Der überdurchschnittliche Lehrer demonstriert. Der außergewöhnliche Lehrer inspiriert.“
Dieses Erlebnis mit meinem Erdkundelehrer war rückblickend für mich der Startschuss, ein außergewöhnlicher Lehrer sein zu wollen. Ein Lehrer, der inspiriert, Menschen groß macht und sie immer fördert!
Wir sind alle täglich Lehrer, da wir ständig mit anderen Menschen interagieren. Was für ein Lehrer bist Du?
Auf Deinen Erfolg,
Dein
Christian Bischoff
P.S. Einer der weitverbreitesten Facebook-Posts der letzten Woche (tägliche Inspiration unter www.facebook.com/bischoffch):