Lass die Sinne sprechen,
„Das kleine Schwarze in AS-Moll“
von Tatjana Busch
Nur manchmal wird es wirklich bewusst, dass jedes Ding, jedes Wesen nicht nur unserem Das ein eine definierbare Örtlichkeit zur Orientierung in Raum und Zeit schenkt, sondern diese Örtlichkeit gleichzeitig auf ganz eigene Art und Weise multidimensional durchdringt. Es ist deshalb nur manchmal bewusst, weil die Sinne sich vor allem auf die Kraft des Visuellen konzentrieren. Es hat sich ein unhinterfragtes Primat des Visuellen eingeschlichen und breit gemacht, das durch seine Wirkung des Distanzhaltens und Objektivierens gegen die Intuition immer wieder davon abhält, ein empathisches Eingreifen in, ein synästhetisches Begreifen und Ergreifen der Welt zuzulassen.
Es kann nun der interdisziplinär-synästhetisch-kaleidoskopische Weg der Kunst sein, der über eine einseitig kontemplative Dimension hinausführt, der uns über eine rein visuelle Wahrnehmung hinaus in eine taktile, akustische, energetische und mentale Wahrnehmung im Sinne einer Gesamtschau verführt.
Gehen wir nun auf eine umfassende Bewusstseinsreise, nehmen wir DAS KLEINE SCHWARZE IN As-MOLL von Tatjana Busch wahr. Und lassen wir die Sinne sprechen.
Das Auge (wir fangen immer mit dem Auge an) zeigt uns die reine äußere Körperlichkeit. Es ist dies eine geknautschte, gefaltete, gedrückte Metallplatte mit schwarzer, matt glänzender Farbe überzogen. Je nach Lichteinfall, je nach Blickwinkel sehen wir ganz unterschiedliche Schatten- und Sonnenseiten des Schwarz. Schwarz ist nie gleich schwarz. Schwarz ist grau, anthrazit, blauschwarz, pechschwarz, stumpf oder leuchtend schwarz, nachtschwarz oder rabenschwarz. In dieser Beschreibung, in diesen Assoziationen, betreten wir bereits eine neue zusätzliche Dimension der Wahrnehmung. Unser Geist tritt hinzu, mit Erinnerungen, Verknüpfungen, Beschreibungen und subjektiven Gedanken. Das Schwarz wird ein ganz persönlicher Nachthimmel, ein ganz eigenes Schwarz, das sich wohl nie mit dem Schwarzempfinden eines anderen Menschen decken wird. Ganz besondere Energien werden freigesetzt, die das rein Körperliche hinter sich lassen.
Zum Visuellen, zum Geistigen tritt nun die Berührung hinzu. Und diese Berührungen der Hände spüren das Metallene (eine feine Nase könnte das Metallene gar riechen), spüren das glatte Kalt des Kunstwerkes. Berührungen gehen tief. Sie lösen sich vom Äußeren und gehen ins Innere. Denn was passiert bei einer Berührung? Man spürt sich selber in Bezug auf den berührten Gegenstand, der sich in die Fingerspitzen hineindrückt. Man streicht über die glatten Kanten, die fast weich erscheinen, fast zart. Emotionen steigen hoch. Das rein visuelle Schwarz als Ausdruck der neutralen Reaktion des Sehnervs und das einst subjektiv erlebte Schwarz eines Nachthimmels verbinden sich mit dem durch die Berührung Gefühlten im Inneren.
Was passiert, wenn die Fingerspitzen nicht nur streichen, sondern auf das Kunstwerk trommeln? Wenn sie auf alle kleinen und größeren Flächen, die durch das Biegen und Falten entstanden sind, trommeln? Das Ohr wird wach. Blecherne, helle und dunkle, stumpfe und klingende Töne entstehen und dringen ein. Unterschiedliche Höhen und Tiefen. Jeder Ton dringt als Druckwelle von Luftmolekülen über den Gehörgang zum Trommelfell und wird hier zur mechanischen Bewegung. Scheinbar ohne Ordnung. Doch ein geschultes Gehör erkennt in der Unordnung eine Tonleiter in As-Moll. Jede noch so kleine Fläche, auf die getrommelt wird, gehört mit ihrem Ton dieser Tonleiter an. Diese Töne lassen sich nun zu einer Melodie komponieren. Eine Kette von Harmonien wird gebildet, ein Rhythmus tritt hinzu und die zuvor einfache Welle von Luftmolekülen tritt, verwandelt in ein Wunder eines in sich stimmigen Wellenspiels, in den Körper ein, durchdringt ihn, bewegt ihn im wahrsten Sinne des Wortes. Und hüllt ihn gleichzeitig ein. Es ist ein Meer von Schallwellen, in dem der Körper badet.
All diese Empfindungen, akustisch, taktil, visuell, energetisch oder geistig, die auf dieser Bewusstseinsreise erfahren wurden, vermengen sich in die Unendlichkeit. Immer wieder von Neuem. Jeder Sinn offenbart einen ganz eigenen Aspekt, eine eigene Facette, um sich dann doch einem übergeordneten Ganzen einzufügen. Ein synästhetisches Ganzes, das sich trennt von der reinen Form der Materie und auch Energie ist. Ein synästhetisches Ganzes, das unserem gesamten Dasein zugrundeliegt.
Ein synästhetisches Ganzes, das eigentlich schon immer vorhanden war. Die Sinne, unsere Intuition, erzählen davon.
Wir müssen nur zuhören.
copyright by Kat Schütz, 2010
Wie passend zum Thema des Mai ---Sinnlichkeit und Senne! Herzdank! H.